Wer diesen Raum betritt

Wer diesen Raum im Krankenhaus der Elisabethinen in Linz betritt, kommt, um von einer nahestehenden Person Abschied zu nehmen.
Was bewegt uns im Innersten, wenn wir Abschied nehmen müssen?

Der Mensch ist für das Leben geschaffen.

Mit seiner ganzen Kraft sucht der Mensch, dem Leben Sinn zu geben. Wir kommen in diese Welt und verlassen sie wieder. Wenn ein Mensch von uns geht, sind wir – vorbereitet oder auch unvorbereitet – mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die früher oder später auf alle Lebewesen zukommt. Die Zeit scheint still zu stehen. Wir stehen gewissermaßen vor einem großen, geheimnisvollen Portal. Dieses Tor hat kein Schloss, lässt sich von uns nicht öffnen. Gleichzeitig sehnen wir uns danach, dass sich ein neuer Raum auftut, die Verbindung zu den Unsrigen nicht abbricht. In der Mitte des Bildes ist ein langer schmaler Spalt zu erkennen, einem Riss nachempfunden, wie eine offene Wunde. Lassen wir uns durch diese Wunde berühren und hindurchführen?

Der Tod – eine einmalige, einschneidende und vor allem schmerzliche Erfahrung –spricht nicht von Sinnlosigkeit der Existenz oder gar Absurdität des Lebens. Der Tod, der zum Leben gehört, verwandelt unser Dasein.

Alles erscheint in einem neuen Licht.

Unterschiedlichste Spuren, feinste Texturen und Maserungen auf der leicht glänzenden Oberfläche des Bildträgers aus Holz, auf schwarzem Untergrund gemalt, weisen auf das menschliche Leben hin, das Geboren werden und Sterben, enthüllen ein Stück weit seine Verletzlichkeit, die geprägt ist von Freuden und Leid, von Kampf und Versöhnung, Wachsen und Reifen bis zu seiner Vollendung. Der Weg führt durch nächtliches Dunkel ins Licht.

Auf dem Wandbild entsteht durch die Reflexion des Lichts – und dem brennenden Licht der Kerzen – ein Glänzen und Schimmern, das an den zart leuchtenden Glanz und die wärmende Liebe der immer gegenwärtigen, ewigen Sonne erinnert.

Annemarie Baumgarten, 2020